|
1 Einst herrschte ein großer starker Pirat über die sieben Weltmeere. |
|
2 Überall war "er verhasst und bekannt. Er riss Alles an sich, was nicht |
|
3 Niet- und Nagelfest war und erschreckte Alle durch seine angsteinflößede |
|
4 Art und durch sein Aussehen. Seine Besatzung hatte sich nach und nach |
|
5 aus dem Staube" gemacht, wei der Pirat Alles für sich haben wollte und |
|
6 ungerecht zu ihnen war. Er machte ihnen das Leben an Bord stets zur |
|
7 Hölle. Das Schiff des Piratens wurde immer prunkvoller und schöner. Die |
|
8 Segel waren aus goldener Seide, die Masten aus Elfenbein, das Holz aus |
|
9 Teak, die Schrauben und Muttern, die alles fest hielten aus feinem |
|
10 Silber. Das Glas in den Fenstern war aus schillerndem Perlmutt und |
|
11 glitzerte mit dem Meer um die Wette. Zufrieden spazierte der Pirat über |
|
12 sein Schiff, welches ein einzig großer Schatz war. Er liebte seinen |
|
13 Reichtum und wollte immer mehr davon. BEkam er das, was er wollte, war |
|
14 er ein paar Tage glücklich, doch dann wurde der Drang nach etwas noch |
|
15 Größerem und noch Schönerem immer größer. Irgendetwas fehlte da, was ihn |
|
16 unendlich glücklich machen würde. Doch kein Rubin der Welt, keine |
|
17 goldene Krone, kein silberner Taler schaffte es ihn länger als 3 Tage |
|
18 glücklich zu machen. Somit musste er, um seine Zufriedenheit zu erhalten |
|
19 sehr oft auf Raubzug gehen. |
|
20 Eines Tages kam er an eine kleine Insel. Schon von weitem sah er die |
|
21 kleine Truppe von Eingeborenen, die um ein Lagerfeuer saßen, trommelten, |
|
22 aßen und lachten. |
|
23 Sie hatten nichts bei sich, außer ihre Baströckchen, ihre Instrumente |
|
24 und ihr spärliches Mahl – |
|
25 und doch machten sie einen glücklicheren Eindruck, als er sich je |
|
26 vorstellen konnte. |
|
27 Er hatte selten Menschen gesehen, die so glücklich und zufrieden waren |
|
28 wie diese. |
|
29 Er fragte sich, welche Schätze sie wohl zu Hause versteckt hielten. Denn |
|
30 ohne einen großen Reichtum ließe sich in seinem Piratenkopf die große |
|
31 Glückseeligkeit nicht erklären. |
|
32 Als er den Anker warf und an Land ging, stürmte der Stamm der |
|
33 Eingeborenen hastig von Dannen, bis auf ein kleiner Junge. Der Pirat |
|
34 fragte den Jungen, warum sie anderen weggelaufen sind und was es denn |
|
35 bei ihm im Dorf schönes zu holen gäbe. |
|
36 Der kleine Junge antwortete munter und fürchtete sich kein bisschen vor |
|
37 dem Pirat, auch wenn dieser furcht erregend aussah. In seinen Augen |
|
38 nämlich sah der Junge Unsicherheit, Traurigkeit und Einsamkeit. Außerdem |
|
39 bemerkte der Junge das Holzbein des Piraten. Damit hätte er ihm nie so |
|
40 flink folgen können. Der Junge erzählte dem Pirat von seinem Dorf, den |
|
41 Blätter und Strohhütten und von seiner Familien und seinen Freunden. |
|
42 „Freunde?“ fragte der Pirat. Er konnte sich nichts darunter vorstellen |
|
43 unter diesem Begriff. |
|
44 Der kleine Junge versuchte ihm zu erklären, was Freundschaft ist und der |
|
45 Pirat staunte nicht schlecht. Nun wollte er unbedingt einen Freund |
|
46 haben, denn der Junge meinte, ein Freund sei der größte Schatz der Welt. |
|
47 Das machte den Piraten neugierig. |
|
48 Doch so einfach war das nicht. Ein Freund ist unbezahlbar und das |
|
49 verstand der Pirat nicht. |
|
50 Man konnte einen Freund nicht einfach kaufen oder stibitzen. |
|
51 Andere Dinge zählten. Dinge, von denen der Pirat noch nie in seinem |
|
52 Leben gehört hatte. |
|
53 Der kleine Junge wollte dem Pirat zeigen, was Freundschaft ist und sie |
|
54 trafen sich jeden Tag, redeten, lachten und machten Feuer. Der Junge |
|
55 zeigte dem Pirat wie man Fische fängt und der Pirat zeigte dem Jungen, |
|
56 in welchen Muscheln man dir größten Perlen findet. |
|
57 Nach und nach verloren auch die anderen vom Stamm die Furcht vor dem |
|
58 Piraten und abends wurde am Lagerfeuer getanzt, gesungen und gelacht. |
|
59 Der Pirat fühlte sich wohler als je zuvor und hatte durch den kleinen |
|
60 Jungen erfahren, was es bedeutet, Freunde zu finden. |
|
61 Er wurde von Tag zu Tag glücklicher und zufriedener und ihm stand wenig |
|
62 Sinn nach seinen Räuberzügen. |
|
63 Eines Tages jedoch wurde der kleine Junge sehr krank. Keine Heilpflanze |
|
64 konnte ihm helfen, kein Schamane konnte Wunder bewirken, keiner der im |
|
65 Tanz und Klang herbeigerufenen Geister halfen ihm. Ein wichtiges |
|
66 Medikament von einem anderen Kontinent wurde benötigt. |
|
67 Somit machte sich der Pirat sofort auf die Reise, dieses Medikament zu |
|
68 besorgen. Die Zeit war knapp. Es blieben dem Jungen nur noch wenige |
|
69 Wochen, vielleicht sogar nur Tage. |
|
70 Der Stamm war dem Piraten sehr dankbar und sie beteten und hofften auf |
|
71 eine baldige Rückkehr mit dem Medikament. Der Pirat fuhr drei Tage und |
|
72 drei Nächte durch Wind und Wetter und kam endlich an seinem Zielort an. |
|
73 Er machte sich große Sorgen um seinen Freund. Das Medikament war sehr |
|
74 teuer. Der Pirat wollte es mit Kanonenschuss und Messerwurf erwerben, |
|
75 doch irgendetwas hielt ihn zurück. Er konnte seine Boshaftigkeit nicht |
|
76 mehr zeigen, denn wenn er in die Gesichter von den Menschen schaute, |
|
77 ihre Blicke sah, dann musste er an seinen Freund denken und an seinen |
|
78 Stamm, der ihn so freundlich aufgenommen hatte. |
|
79 Also beschloss er das Medikament zu kaufen. Er gab sehr viel von seinem |
|
80 Reichtum ab und verkaufte ebenso einen Teil davon, um ein paar Geschenke |
|
81 und Nahrungsmittel für den Stamm mitzubringen. Nun war sein Schiff gar |
|
82 nicht mehr so pompös, wie zuvor, aber es störte ihn seltsamerweise nicht |
|
83 weiter. Für ihn zählte nur das Leben seines Freundes, dem kleinen |
|
84 Jungen. Auf dem Weg zu ihm kam er an einer kleinen einsamen Insel |
|
85 vorbei, auf der eine Familie gestrandet war. Sie flehten um Hilfe, dass |
|
86 er sie mitnehme. Da der Pirat jedoch schnellst möglich in eine andere |
|
87 Richtung musste, um zur Insel seines Freundes zu gelangen, blieb ihm |
|
88 nichts anderes übrig als ihnen das große Schiff zu überlassen. Er selbst |
|
89 fuhr mit dem kleinen Beiboot zur Insel, die nicht mehr so weit entfernt |
|
90 war. |
|
91 Ein wenig seltsam war es schon, alles abgegeben zu haben, doch mit dem |
|
92 Seufzer kam auch eine seltsame Erleichterung. Wie eine tonnenschwere |
|
93 Last, die abgeworfen wurde. |
|
94 Als der Pirat an der Insel ankam, wurde er schon erwartet. Der Junge war |
|
95 noch schlechter zurecht als zuvor und der Guru hatte schon das letzte |
|
96 Gebet ausgesprochen und ihn einbalsamiert. Das Medikament jedoch half |
|
97 ihm in allerletzter Sekunde und er wurde von Tag zu Tag gesünder. Nach |
|
98 einer Woche konnte er wieder aufstehen und mit den anderen Kindern |
|
99 spielen. Während sein Vater einen Arm um den Pirat legte und „Mnumbai, y |
|
100 zmuni“ – Danke, mein Freund, sagte, schaute der Pirat glücklich zu. Der |
|
101 Junge hatte sein Leben zurückbekommen, Dank ihm. Und er hatte wahre |
|
102 Freunde gefunden. Das hatte er dem Jungen zu verdanken. Der Pirat hatte |
|
103 ebenfalls bewiesen, dass ihm ein Freund mehr wert ist, als alle Schätze |
|
104 der Welt. Er wurde damit belohnt, dass er nicht weiter einsam war. |
|
105 Der Stamm nahm den Pirat für immer bei sich auf und er war glücklich und |
|
106 zufrieden bis an sein Lebensende. Sein kleiner Freund wuchs heran und |
|
107 wurde irgendwann ein weiser Häuptling. Er erzählte seinen Kindern und |
|
108 Kindeskindern am Lagerfeuer von seinem treuen Piratenfreund. Immer, wenn |
|
109 er ein Piratenschiff am Horizont vorbeifahren sah, dachte er an seinen |
|
110 Freund zurück, dem er sein Leben zu verdanken hatte. |
|
111 |